Wer sich im ländlichen Raum auf den Weg zur Schule, zur Ausbildungsstelle oder zur Arbeit macht, benutzt dafür meistens das Auto.(1) Und auch bei uns in Nordhessen entscheidet sich nur eine Minderheit für den ÖPNV. Schnell kann man den Eindruck gewinnen, dass sich Investitionen im Bereich der öffentlichen Verkehrsmittel nicht lohnen, geschweige denn erhöht werden sollten. Tatsächlich fordern einige Kommunalpolitiker*Innen bei diesem Thema Einsparungen vorzunehmen, gerade in Zeiten knapper Kassen. Aber mit Verlaub, ist dies wirklich der richtige Weg für unsere Region?
Um diese Frage beantworten zu können muss man sich zunächst eine andere Frage stellen: Warum wird der ÖPNV so schlecht angenommen? In vielen Orten gibt es nur noch ein Grundangebot an Mobilität: Am Morgen kommen Schüler*Innen zur Schule, nachmittags können sie wieder zurückfahren. Abseits der Schulzeiten sieht es jedoch gerade in kleineren Städten und auf den Dörfern schlecht aus. Viele Menschen sind so mehr oder weniger gezwungen ein Auto zu besitzen. Sollte dies etwa aufgrund des Alters oder der finanziellen Situation nicht möglich sein, so führt ein Mangel an öffentlichen Verkehrsmitteln zu Problemen. Dies betrifft insbesondere Schüler*Innen, Azubis und Senior*Innen, und auch Arbeitnehmer*Innen und Familien.
Aber auch dort, wo ein etwas besseres und breiteres Angebot besteht, sieht es meist nicht besser aus. In vielen mittelgroßen Städten fahren beispielsweise Stadtbusse, die nur selten wirklich voll sind. Gleichzeitig steigen die Kosten für den öffentlichen Nahverkehr, die fehlenden Einnahmen müssen durch die Städte, Gemeinden und Landkreise getragen werden. Ist das also der Beweis dafür, dass der ÖPNV auf dem Land gescheitert ist und sämtliche Angebot abgeschafft werden sollten um Steuergelder zu sparen?
Nein, denn häufig liegt es nicht an der mangelnden Nachfrage sondern schlichtweg am falschen Angebot. Diese Meinung vertritt etwa der Verkehrsexperte und emeritierte Professor Heiner Monheim. Im Interview mit ZEIT Online (2) plädiert er nicht für weniger, sondern für mehr öffentlichen Nahverkehr. „Wieso? Damit die Kosten weiter explodieren?“, würde sich nun der/die ein oder andere Kommunalpolitiker*In fragen. Aber die Erkenntnisse aus Forschung und Praxis zeigen ein anderes Bild. Dort, wo ein breiteres Angebot vorhanden ist, sinkt der Anteil, den die Kommunen zuschießen müssen. Monheim: „Bisher decken die Einnahmen im Schnitt nur 60 Prozent der Ausgaben, die Kreise und Gemeinden müssen die restlichen 40 Prozent übernehmen. Bei einem besseren Angebot reichen die Erlöse auch für 80 Prozent der Kosten. Im Gegenzug sinken die staatlichen Subventionen.“ Oder anders ausgedrückt: Je mehr ÖPNV angeboten wird, desto weniger kostet es. Ein Paradoxon, welches auf den ersten Blick nur schwer nachvollziehbar scheint.
Bei näherem Hinsehen ergibt dieser Zusammenhang jedoch Sinn. Denn je attraktiver das Angebot ist, desto eher stellt der ÖPNV eine echte Alternative zum Auto dar und desto mehr Menschen nutzen Bus oder Bahn. Was muss also getan werden? „Aus Studien wissen wir, dass Fahrgäste den Fußweg zur Haltestelle als unangenehmsten Faktor sehen. Wenn die Leute 800 Meter zur Haltestelle laufen müssen, das Auto aber vor der Türe steht, dann setzen sie sich doch in den Pkw. Deswegen müssen wir die Netze umstrukturieren.“, so Monheim. Seine Empfehlung: Mehr Haltestellen, nicht weniger. Aber wird dadurch die Fahrzeit nicht wesentlich länger? Hier verweist der Fachmann auf das Nahverkehrskonzept in der Schweiz. Dort fungieren etwa Busse als Zubringer zu bestimmten Knotenpunkten. Und auch die Abfahrtszeiten sind aufeinander abgestimmt. So kommt man ohne lange Wartezeiten vom Dorf zum nächsten Knotenpunkt – und von dort dann schnell zum gewünschten Zielort. Das Ergebnis: In der Schweiz fahren im Vergleich zu Deutschland sechsmal mehr Menschen auf dem Land mit Bus oder Bahn.
Keine Frage – Ein starker ÖPNV gehört zur öffentlichen Daseinsfürsorge einfach dazu. Gerade im Hinblick auf soziale und ökologische Aspekte darf dieser Standortfaktor nicht vernachlässigt werden. Daher müssen mehr Busse und Bahnen fahren, ohne aber die Wirtschaftlichkeit und den tatsächlichen Bedarf aus den Augen zu verlieren. So können etwa weitere Anrufsammeltaxen oder neue Konzepte, wie beispielsweise Mobilfalt (3) des NVV, ein Fortkommen von A nach B zu Randzeiten gewährleisten. Und auch ganz neuen Ideen dürfen wir uns nicht verschließen: Wo, wenn nicht im ländlichen Raum, könnten eines Tages selbstfahrende Autos einen echten Mehrwert schaffen? Und warum sollte es, ähnlich zu den Semestertickets, kein nordhessisches Schüler*Innen – und Azubiticket geben?
Dass sich Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur lohnen können, zeigt die Bahnstrecke zwischen Korbach und Frankenberg. (4) Angeführt von der SPD fand sich im Waldeck-Frankenberger Kreistag eine Mehrheit für die Reaktivierung nach 28 Jahren. Die Opposition monierte die hohen Kosten und prophezeiten Geisterzüge. Es kam anders: Nach fast einem Jahr zeigt sich, dass die Bahnverbindung intensiv genutzt wird, sei es von Studenten, Berufspendlern oder Touristen. Viele Menschen aus dem Ruhrgebiet oder aus dem Rhein-Main-Gebiet sind auf Waldeck-Frankenberg aufmerksam geworden und nutzen die Bahn um in Willingen feiern zu gehen oder sich am Edersee zu erholen. Auch ich nutze die Bahnstrecke regelmäßig und kann den Kritikern nur widersprechen. Und gerade im Hinblick auf den Hessentag 2018 in Korbach wird die Bahn das Verkehrsmittel schlechthin sein. Die Reaktivierung erweist sich also als ein echter Gewinn für die Region.
Wir fassen zusammen: Nicht weniger ÖPNV ist der richtige Weg, sondern mehr. Wir müssen mutig sein und in das Verkehrsangebot in Nordhessen weiter investieren. Wer nur auf kurzfristige Einsparungen aus ist, kann nicht darauf hoffen, dass der demografische Wandel von selbst verschwindet. Ein ordentliches Bus- und Bahnangebot rentiert sich hingegen viel mehr und kann unsere Region entscheidend nach vorne bringen.
von Karsten Zolna
Quellennachweise
1. https://www.destatis.de/DE/Publikationen/STATmagazin/Arbeitsmarkt/2014_05/2014_05Pendler.html, 19.06.2016 ↩
2. http://www.zeit.de/mobilitaet/2015-07/nahverkehr-bus-bahn, 19.06.2016 ↩
3. http://www.mobilfalt.de/, 19.06.2016 ↩
4. http://hessenschau.de/wirtschaft/bahnstrecke-zwischen-korbach-und-frankenberg-nach-28-jahren-wiederbelebt,kurhessenbahn-102.html, 19.06.2016 ↩
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