Jüngst war ich mit meiner Freundin in Griechenland. Ziel des Besuchs war nicht nur die lang ersehnte Erholung, sondern auch das Kennenlernen der Familie meiner griechisch-stämmigen Freundin, von der ich bisher nur meinen Schwiegervater kannte. Zu der leichten Nervosität, wie man von der Schwiegerfamilie aufgenommen werden würde, gesellte sich auch die Frage, ob es zu politischen Diskussionen über die Berliner Politik gegenüber der Athener kommen würde. Ich dachte sogar daran, mir ein T-Shirt zu kaufen auf der Merkels Konterfei samt dem Spruch „not my chancelor“ prangte, um meiner Ablehnung „ein Gesicht zu geben“. Aber Fehlanzeige. Meine Schwiegerfamilie, aufgeklärt, bodenständig und mit internationaler Erfahrung ausgestattet verlor keine Kritik an der Politik Deutschlands, sehr wohl aber an der eigenen Politik und an den Forderungen der Troika. Diese Erfahrung hatte ich in Deutschland nicht gemacht. Als ich mich von meinen erwachsenen Schülerinnen und Schülern in den Griechenlandurlaub verabschiedete, erntete ich in bester Stammtischmanier ein „Waaas, so ein Land unterstützt du?!“ Gut, es war nur ein Kommentar, aber er zeigte, wie verkürzt die Berichterstattung einiger Medien ist, aber auch, wie komplex die Materie ist. Es bedarf meist einer Erklärung, warum ein exportorientiertes Land wie Deutschland Nutznießer davon ist, dass ein wirtschaftlich wankender Staat, der die gemeinsame Währung schwächt, positiv für die Handelsbilanz und Arbeitsplätze ist, und einer weiteren Erklärung, dass dieser Vorteil nicht unbedingt auch auf der anderen Seite zu finden ist.
Beim Nachrichtenkonsumenten kommt hingegen meist nur an, dass Griechenland die nächste Millionen-Tranche erhält, wobei ihm sofort das ein oder andere Schlagloch in einer deutschen Straße einfällt, was doch viel dringender zu stopfen sei, als der griechische Haushalt. Vermeintlich sozial Eingestellte, deren Horizont auch nicht viel weiter als das Ende der eigenen Motorhaube reicht, bringen wenigstens noch die Lage der hiesigen Arbeitslosen und Kitas in ihrer Kritik an. Kein Wunder, werden die Nachrichten doch lieber mit Botschaften garniert, dass Griechenlands Finanzverwaltung selber kein Steuerkataster habe, dass viele Superreiche dort keine Steuern zahlen würden, massenhaft Tote Renten beziehen würden und generell nur Vetternwirtschaft und Korruption dort herrschen würden. Das muss ja nun alles stimmen, stand ja schließlich in jener Tageszeitung, die bekannt ist für „Angst, Hass, Titten und den Wetterbericht“. Richtig, in Griechenland ist nicht alles gut, das wissen auch die Griechen. Vor allem durch die Weißwurstbrille gesehen wirkt zuweilen chaotisch, aber, wie ein anderer meiner Schüler (übrigens Ukrainer) meinte: „Klar, wenn man die ganze Welt mit Deutschland vergleicht, wirkt das meiste einfach schlechter.“ Wer gibt uns aber das Recht, zu sagen, dass die Griechen ihren Staat schlechter aufgestellt haben und der Troika das Recht, ihnen penibel vorzuschreiben, was sie zu ändern haben? Vielleicht haben die Griechen eine andere Beziehung zu ihrem Staat, der lange Jahre von Außen bevormundet, von innen und außen gemolken wurde (übrigens auch durch deutsche Unternehmen), der mit dem Bürgerkrieg (durch den Westen protegiert) selber Verfolger war. Die Griechen haben das Recht sich ihren Staat selber zu bauen und auch ihre staatliche Wirtschaft so zu betreiben, wie sie es wünschen. Sie haben das Recht, für sich zu sagen, was öffentliche Daseinsvorsorge ist und daher in staatliche Hand gehört. Gefordert werden aber von der Troika Privatisierungen. Griechenland steht also unter jener Herrschaft, die wir europäischen SozialdemokratInnen und SozialistInnen ablehnen, wie es auch die meisten Bürgerinnen und Bürger sehen. Strom- und Wasserversorgung, Sozialversicherungen, Kitas und Verkehr gehören in die öffentliche Hand, haben der Allgemeinheit zu dienen und sollen nicht, wie man es von der Bahn verlangt, zur Finanzierung der öffentlichen Hand dienen. Die Griechen laufen noch mehr Gefahr als wir, Opfer des Kapitalismus zu werden, da sie durch ihre Geldgeber erpressbar sind. Um es durch die Weißwurstbrille zu beschreiben: Ich ließe mir von meiner Bank, die mir einen Kredit gibt zum Hausbau gibt, auch nicht vorschreiben, welche Farbe die Fenster haben müssen und wer die Elektroinstallationen machen darf.
von Marcel Brückmann