Auf dem Tönnies-Werk in Rheda-Wiedenbrück prangt der geballte Zynismus der Fleischindustrie. Ein Bulle steht neben einer Kuh, ihre Schwänze formen an den Schweifenden ein Herz. Beide schauen auf ein Schwein unter ihnen, das uns glücklich entgegenblickt. Der Comicstil erinnert fast an einen Disney-Film. Große Augen, ausdrucksstarke Mimik, helle, wenn auch vom Wetter angegriffene, Farben.[1] Es fehlt nur noch ein Lied über Freundschaft und Liebe, das im Loop vom Dach der Schlachtfabrik schallt, um die Lebewesen im Inneren der Fabrik noch weiter zu verhöhnen.
Der Hohn gilt, und das ist momentan in aller Munde, den Arbeiter*innen, die täglich Tiere töten, zerteilen und in mundgerechte Stücke zu Cent-Preisen je 100 Gramm[2] schneiden. Deren Arbeitsbedingungen, das war übrigens auch schon vor Corona so, gleichen eher einem System moderner Sklaverei. Arbeiter*innen werden aus Osteuropa angekarrt, in Sammelunterkünfte gesteckt und täglich zum stundenlangen Töten hin- und hergefahren. Die Kosten dafür zieht ihnen einer der Subunternehmer von Clemens Tönnies selbstverständlich vom Mindestlohn ab – Werkvertrag sei Dank.[3]
Der Hohn gilt, und das scheinen wir in der aktuellen Debatte zu verdrängen, aber in erster Linie den sogenannten Nutztieren, die uns so glücklich vom Dach anschauen. 763 Millionen davon wurden 2019 in Deutschland geschlachtet[4]. Aber wen es tröstet: Mit der Schlachtung endet für die Tiere ohnehin ein Leben, das eher ein Horrorfilm war. Bio ändert daran übrigens nichts. Ein Bio-Huhn teilt sich in Freilandhaltung einen Quadratmeter Boden mit fünf weiteren Hühnern. Bei der konventionellen Bodenhaltung sind es neun.[5] Ersteres ist am Ende dann eben auch nur ein bisschen weniger Scheiße.
Ja, ich bin wütend. Das Logo der Firma Tönnies macht mich deshalb so rasend, weil es eine dreiste Lüge erzählt. Es unterstellt, dass Tiere als mit uns Gleiche behandelt werden und im Einklang mit den menschlichen Bedürfnissen gerne und aus freien Stücken als Nahrung dienen. Was dabei übersehen wird: Tiere empfinden. Sie fühlen Zuneigung und Ekel, Freude und Angst. Sie leiden Schmerzen – körperlich und geistig.
Und alle wissen es. Das zu schreiben erscheint mir unfassbar redundant, ist aber wohl notwendig: Tiere wollen nicht sterben. Sie wollen nicht in Kunstdarm gepresst als Bratwurst auf der Kirmes enden. Genau wie dein Hund oder deine Katze will auch ein Schwein seinen Instinkten nachgehen dürfen. Es hat eben nur das tödliche Los gezogen, nicht als Haus- sondern als Nutztier geboren worden zu sein.
Bevor du den Tab jetzt schließt: Ja, das ist ein Juso-Blog. Ja, es geht hier um das große Ganze – ich komme noch dazu. Zum Weiterklicken hier schon mal ein Beschluss der Jusos Hessen-Nord aus 2016, der leider nicht auf dem Juso-Bundeskongress behandelt wurde[6].
Spannend ist übrigens auch, dass wir das Leid im Inneren der Schlachtfabriken hinter fensterlosen Fassaden verstecken und Videos von Schlachtungen bei Instagram gesperrt werden. Wenn all das angeblich so normal, so unumgänglich und natürlich für die menschliche Zivilisation ist, warum ist es dann notwendig, uns alle von dieser Realität abzuschirmen? Für mich wäre es in Ordnung, wenn ich einer Mühle dabei zusehen müsste, wie sie das Mehl für mein Brot mahlt, während ich es in der Bäckerei kaufe. Fraglich, ob dieses Konzept auch in der Metzgerei aufgeht ohne den Umsatz ins bodenlose zu drücken.
Zurück zu harten Fakten: Würden wir darauf verzichten, Vieh zu züchten, würden fast 15 Prozent aller Treibhausgasemissionen weltweit wegfallen[7]. Klingt vielleicht nicht viel, hätte aber den gleichen Effekt, wie alle Autos, Schiffe und Flugzeuge der Welt nicht mehr zu benutzen. Etwa 80 % der Waldrodungen in Südamerika würden übrigens auch wegfallen[8]. Dort wird nämlich Futtersoja angebaut, das dann nach Europa verschifft wird, um Vieh zu mästen. So viel dazu, dass mein Soja-Burger den Amazonas-Regenwald zerstört. Und bevor auch hier der Whataboutism-Impuls zuschlägt: Soja für menschliche Nahrung stammt überwiegend aus Europa[9].
Ich erlaube mir zu schlussfolgern, dass die Fleischproduktion nicht gut für die Arbeiter*innen, die Umwelt und schon gar nicht die Tiere ist. Wem aber nützt dann das tägliche Abschlachten? Wer gewinnt am Ende an Leid und Zerstörung?
Na, zum Beispiel Clemens Tönnies und seine Kolleg*innen in den Chefetagen der größten Schlachtfabriken dieser Republik. Die Firma Tönnies machte 2019 einen Umsatz von über sieben Milliarden (!) Euro[10]. Gleichzeitig beutet die Branche seit Jahren ihre Beschäftigten aus und tut alles dafür, dass sich die Arbeitsbedingungen nicht verbessern – von den Bedingungen für das Schlachtvieh ganz zu schweigen.
Der ungezügelte Kapitalismus zeigt hier einmal mehr seine hässliche Fratze. Solange Geld fließt, darf auch Blut fließen. Es ist deshalb richtig, dass die SPD mit Hubertus Heil in der Bunderegierung an die Arbeitsbedingungen ranwill. Ich meine das ernst, denn die Arbeiter*innen schlachten die Tiere nicht aus Spaß am Leid, sondern aus der Notwendigkeit heraus, Geld verdienen zu müssen. Ihnen ist in diesem System kein Vorwurf zu machen.
Gleichzeitig dürfen wir die Tiere nicht vergessen. Wirklich. Wir dürfen es einfach nicht. Wir müssen ernsthaft hinterfragen, ob wir industrielle Tierhaltung dulden wollen, während wir – gleichzeitig zurecht – Tierquälerei in anderen Bereichen, beispielsweise im Zirkus, verurteilen. Die Doppelmoral, das eine Leid höher zu gewichten, als das andere, ist anerzogen. Das Leid der Tiere als Ganzes zu sehen, ist deshalb auch erlernbar. Ich bin Veganer. Ich bin Sozialist. Beides habe ich gelernt zu sein. Von beidem bin ich überzeugt.
Für mich gilt deshalb auch heute noch die Forderung, die wir als Jusos Hessen-Nord 2016 beschlossen haben: Sozialismus auch für Tiere!
[1] Bild siehe: https://www.soester-anzeiger.de/bilder/2020/06/21/13805593/453199978-fleischfabrik-toennies-rheda-wiedenbrueck-kreis-gueterloh-corona-ausbruch-hp2HDnjIGa7.jpg (abgerufen am 05.07.2020)
[2] https://www.agrarheute.com/land-leben/spottpreis-billig-fleisch-loest-shitstorm-535011 (abgerufen am 04.07.2020)
[3] https://www.deutschlandfunk.de/der-tag-das-virus-und-die-schlachthoefe.3415.de.html?dram:article_id=476542 (abgerufen am 05.07.2020)
[4] https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2020/02/PD20_036_413.html (abgerufen am 07.07.2020)
[5] https://www.ndr.de/ratgeber/verbraucher/Huehnerhaltung-Ist-bio-wirklich-besser,tierhaltung138.html (abgerufen am 07.07.2020)
[6] https://juso-buko.de/cvtx_antrag/resolution-mit-uns-zieht-die-neue-zeit-sozialismus-auch-fuer-tiere/ (abgerufen am 07.07.2020)
[7] http://www.fao.org/news/story/en/item/197623/icode/ (abgerufen am 07.07.2020)
[8] https://globalforestatlas.yale.edu/amazon/land-use/cattle-ranching (abgerufen am 07.07.2020)
[9] https://www.niemblog.de/der-soja-irrtum/ (abgerufen am 07.07.2020)
[10] https://www.handelsblatt.com/unternehmen/mittelstand/familienunternehmer/fleischkonzern-grossschlachterei-toennies-knackt-die-umsatzmarke-von-sieben-milliarden-euro/25612746.html?ticket=ST-10301041-rus3vSXBPu4vStOxtePI-ap3 (abgerufen am 07.07.2020)