Die Stadt Kobanê wird seit 39 Tagen von IS angegriffen. In unseren Medien wird seit etwa zwei Wochen vermehrt darüber berichtet. In diesem Blog-Beitrag wird dargestellt, warum diese Stadt angegriffen wird und weshalb für uns JungsozialistInnen wichtig ist, uns sowohl über diese Stadt als auch über die Region Rojava zu informieren.
Vorab möchte ich einige Punkte klarstellen, die aus meiner Sicht kaum in den deutschen Medien thematisiert werden.
1. Bis jetzt ist keine einzige deutsche Waffe in Kobanê angekommen.
2. Die Luftangriffe der USA haben sich erst, nach dem die Menschen weltweit Druck ausgeübt haben, intensiviert.
3. Die Türkei lässt bis Dato nicht zu, dass die USA den Stützpunkt Incirlik in der Türkei nutzt, denn von dort aus sind präzise und nachhaltige Angriffe gegen IS möglich. Obwohl auch hier ganz viele Fragzeichen sind, wie kann die USA nicht in der Lage sein, Druck auf die türkische Regierung auszuüben? Aber aus USA hört man auch des Öfteren, dass Kobanê für sie strategisch nicht sehr wichtig sei.
4. Die Türkei lässt freiwillige, die für Kobanê kämpfen wollen nicht über die Grenze (bis Dato keine Korridor für Waffen und freiwillige), während die IS – Kämpfer seit drei Jahren ungehindert von türkischen Grenzposten in den Irak und Syrien einreisen, und die verletzten IS- Kämpfer in türkischen Krankenhäusern nach dem sie behandelt werden, wieder in den heiligen Krieg ziehen dürfen.
5. Die Waffen die am Montag den 21.10 über Kobanê geworfen worden sind, waren kurdische Waffen, die USA hat somit dankeswerter Weise den Kurierdienst übernommen, diesen Dienst hält Herr Erdogan übrigens für falsch.
6. In Kobanê wehren sich die Menschen seit 39 Tagen gegen die zahlenmäßig und militärisch überlegene IS (um nur die Dimension vor Augen zuführen: Die IS hat die zweitgrößte Irakische Stadt Mossul mit samt den Ölfeldern und dem gesamten Waffenarsenal binnen von zwei Tagen übernommen). Siehe diverse Tageszeitungen und Onlinemeldungen seit dem 10. 06. 2014.
Doch warum kämpft diese Stadt so heldenhaft gegen eine Armee, deren Kämpfer sich aus vielen Ländern weltweit zusammengetan haben; die bestens organisiert sind und über ein geschätztes Vermögen von ca. 2,4 Milliarden Dollar verfügen.
Die Stadt Kobanê liegt in dem Gebiet Rojava, die vorwiegend von Kurden besiedelt ist und in Norden Syriens liegt. Dieses Gebiet wird auch „Westkurdistan“ genannt. Bereits beim Beginn der Demonstration gegen die Syrische Regierung entschied sich die kurdische Partei in der Region PYD (Partei der Demokratischen Union) für einen dritten Weg und begann offiziell in diesem Gebiet autonome Verwaltungsstrukturen aufzubauen. Unter Führung der PYD wurden in drei Regionen (Afrin, Kobanê und Cizirê) demokratische Rätestrukturen aufgebaut, die Kantone genannt werden.
Die Verwaltungseinheiten, so auch die Selbstverteidigungskräfte, sind charakterisiert durch Geschlechterquoten und Repräsentation von Bevölkerungsgruppen entlang ethnischer beziehungsweise religiöser Zugehörigkeit (kurdisch, arabisch, assyrisch-christlich). Dorf-, Stadtteil-, Stadt- und Regionalräte sollen eine hohe Beteiligung der Bevölkerung an Entscheidungsfindungen sicherstellen. Demokratische Preiskontrolle, rechtsstaatliche Gerichtsbarkeit und kostenlose Schulbildung in der jeweiligen Muttersprache sind weitere Kennzeichen der demokratischen Autonomie in Rojava. Unter äußerst widrigen Bedingungen wurde dazu übergegangen, die Versorgung der Bevölkerung auf der Grundlage von Produktionsgenossenschaften zu organisieren. Die Bevölkerung in Rojava lehnte nicht nur eine militärische Intervention in Syrien von außen ab. In Verhandlungen mit der syrischen Opposition bestand sie auch auf einer Autonomie der kurdischen Region in einem möglichen zukünftigen Syrien. Die anfangs überwiegend arabisch-nationalistische syrische Opposition lehnte beide Forderungen kategorisch ab. Die VertreterInnen Rojavas wurden von der Opposition und der sogenannten »Gruppe der Freunde Syriens« (siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Freunde_Syriens ) international isoliert. Diese Isolation wurde begleitet von einem Wirtschaftsembargo, das von der Türkei und der Regierung der Autonomen Region Kurdistan (KRG) im Irak umgesetzt wurde. Die türkische Regierung erklärte, sie werde das »terroristische Gebilde« an ihrer Grenze, das sie als identisch mit der PKK ansah, nicht dulden (ERROL BABACAN UND MURAT ÇAKIR).
Dieses bis jetzt für die Region einzigartige Gebilde wurde von vielen Seiten angefeindet. Denn die Menschen in Rojava zeigen uns, dass in unserer so alternativlos angesehenen kapitalistischen Gesellschaft ein anderer Leben und Regierungsform möglich ist. Die Idee auf die bezogen wird, wird und wurde von Abdullah Öcalan, der seit 1999 in Gefängnisinsel Imrali in der Türkei inhaftiert ist populär gemacht, es folgt der Vision vom „libertären Kommunalismus“ vom Denker und libertär Sozialisten MURRAY BOOKCHIN. „Das heißt, alle Kurden sollen nach den Prinzipien der direkten Demokratie freie, selbstverwaltete Gemeinden gründen, die dann über nationalen Grenzen hinweg in Beziehung treten. Grenzen und staatliche Strukturen werden dadurch – so die Hoffnung – immer weiter an Einfluss verlieren. Die kurdische Bewegung soll zu einem Modell authentischer Demokratie, einer kooperativen Ökonomie und der schrittweisen Auflösung des bürokratischen Nationalstaaten werden“ (DAVID GRAEBER, einem Gründer der Occupy Bewegung und lehrt heute an der London School of Economics).
Als die Kämpfer von PKK und PYD sich dem IS in Weg stellten und die im Berg Sinjar geflüchteten Êzîdîn retteten, wurde dies in der Region von vielen gefeiert, während dies im europäischen und Nordamerikanischen Medien kaum erwähnt wurde. Die IS rächt jetzt mit jeder Menge in den USA produzierter und von der irakischen Armee erbeuteter Panzer und schwerer Artellerie in Kobanê, wegen der Niederlage in Sinjar und natürlich auch, weil ihnen solch ein Projekt wie in Rojava nicht passt.
Rojava ist für mich gleichzusetzen mit Pariser Kommune und einen anderen Vergleich zieht DAVID GRAEBER „Gäbe es heute einen Wiedergänger von Francos frömmelnden und mörderischen Falangisten – wer könnte das anders sein als der IS? Und wenn es eine Parallele zu den MujeresLibresaus dem Spanien von 1936 gibt, wo sonst sollte man sie finden als bei den mutigen Frauen in Kobanê? Darf die Welt zulassen, dass sich die Geschichte wiederholt?“
Wir dürfen dies nicht zulassen, Rojava ist für alle JungsozialistInnen das greifbare Projekt unserer Jugend. Dort werden die vielen Theorien die wir kennen in die Praxis umgesetzt und es wird gezeigt, dass es möglich ist, dass Menschen im Nahen Osten friedlich zusammen leben können. In Kobanê droht ein weitreichendste demokratische Projekt des Nahen Osten brachial von IS zerstört zu werden.
Wir müssen uns mit Kobanê und der Revolution in Rojava solidarisieren für den Frieden in Nahen Osten ist es eine der wichtigen Projekte unserer Zeit.
Autorin: TeslihanAyalp– Die stellvertretende SPD-Parteivorsitzende im UB Kassel-Stadt stammt gebürtig aus dem kurdischen Gebiet in der Südost-Türkei. Seit vielen Jahren beschäftigt sich mit der Politik in der Region.