Nun kann man es sich, wenn man einen Juso für einen Blogbeitrag zur deutschen Beteiligung am Kriegseinsatz in Syrien sucht, einfach machen und einen unserer zahlreichen Pazifist*innen fragen, die Militäreinsätze ausnahmslos ablehnen. Man kann es aber auch komplizierter machen und einen bekennenden Anhänger des Prinzips der Schutzverantwortung fragen, der demzufolge militärische Maßnahmen als ultima ratio, als letztes Mittel, für möglich und im Einzelfall ggf. für zwingend nötig hält, um noch größeres Unheil abzuwenden. Spannend wird es
dann, wenn wir trotzdem zum selben Ergebnis kommen: Dieser Einsatz ist eine fatale Entscheidung und (nach den neuen Asylkompromissen) bereits der zweite historische Fehlgriff der Bundes-SPD binnen weniger Wochen.
Völlig ohne militärische Gewalt wird dieser Konflikt nach meiner Einschätzung leider nicht zu lösen sein. Mit einer Terrororganisation wie „IS“ lässt sich ohnehin keine Diplomatie betreiben. Deshalb also um einer vermeintlichen Stabilität Willen mit Assad kooperieren? Mit dem Regime, das mit Giftgas gegen die eigene Bevölkerung vorging und nach wie vor um ein Vielfaches mehr Menschen tötet als „IS“? Durch eine desaströse Interessenverkettung hat dieses Regime international den beliebten Status des „kleineren Übels“ erreicht.
Mit Verlaub, aber das ist für niemanden, die*der es mit dem Völkerrecht hält, hinnehmbar und eine Lösung, in der Assad an der Macht bleibt und folglich weiter morden kann.
Im Grunde sind sich die Akteur*innen, die für diesen Einsatz verantwortlich sind, an dem sich Deutschland nun beteiligt, dessen ja auch bewusst. Und genau da sind wir beim großen Defizit, bei der großen Frage, die bis hierhin nicht schlüssig beantwortet wird: Was wollt ihr eigentlich?
Vermisst: Das Ziel! Klar, irgendwie soll „IS“ besiegt werden. Selbst wenn wir die irrige Annahme treffen, dass das so funktioniert, bleibt offen, wie es in der Region danach weitergehen soll. Welcher Umgang mit den weiteren Kriegsparteien wird angestrebt? Welche Wiederaufbaumaßnahmen sind konkret geplant um welchen Status zu erreichen? All das ist bis hierhin völlig vage. Erstmal loszulaufen, um sich erst unterwegs zu überlegen, wohin und wofür eigentlich, ist im Alltag wie auch in der Politik meistens unklug. Wenn man dafür das Leben von Menschen einsetzt, ist es nicht nur unklug, sondern verantwortungslos.
Vermisst: Der Plan! Wer glaubt denn ernsthaft, eine dezentral koordinierte Terrororganisation durch flächendeckende Bombardements auslöschen zu können? Das kostet nicht nur unzählige Zivilist*innen das Leben, das funktioniert nicht mal, Afghanistan lässt grüßen. Was mit Assad passieren soll, bleibt wie gesagt unklar und zeigt: Ein kleinster gemeinsamer Nenner mit allen relevanten Akteur*innen ist keine hinreichende Bedingung für eine derart folgenschwere Entscheidung. Eine – gut gemeinte und ja auch zutiefst verständliche – Intuition, dass natürlich „etwas gemacht werden muss“, ist per se noch keine Legitimation zu militärischem Handeln, solange nicht sämtliche Fragen nach dem „Wie?“ präzise beantwortet werden können.
Vermisst: Die Linie! Neben dem, was schon zu Assad gesagt wurde: Wie kommt man denn eigentlich auf das schmale Brett, Saudi-Arabien oder Katar in diesem Konflikt als politischen Partner des „Westens“ in die Lösung mit einzubeziehen, Staaten, die mit genau denselben ideologisch motivierten, barbarischen Menschenrechtsverletzungen agieren wie „IS“? Die Waffenlieferungen in die Region sind noch ein anderes Thema, das hier nicht vertieft werden soll, und gleichwohl mit hineinspielt: Wer Terroristen und Menschenrechtsignoranten aus egoistischen Motiven in „für uns schädlich, deshalb zu bekämpfen“ und „für uns nützlich, deshalb zu tolerieren“ aufteilt, ist von einem Verständnis für den Konflikt, mithin von seiner Lösung meilenweit entfernt.
Vermisst: Das Mandat! Man kann sich verschiedene ältere UN-Resolutionen noch so bemüht zurechtzubiegen versuchen: Nein, dieser Einsatz hat kein Mandat der Vereinten Nationen. Nun ist das aufgrund der Konstellation im Sicherheitsrat auch nicht immer so einfach, und dennoch: Wer ohne UN-Legitimation – auch das Schutzverantwortungskonzept sieht eine solche zwingend vor – von außen derart in einen bewaffneten Konflikt eingreift, bricht Völkerrecht! Nicht weniger als das, und seien die Motive noch so ehrenwert.
Vermisst: Die Transparenz! Zumindest wäre zu erwarten, dass die deutsche Beteiligung und ihre Konsequenzen von den sie befürwortenden Akteur*innen transparent kommuniziert würden. Wenn Ex-Verteidigungsminister zu Guttenberg auch sonst nicht viel bewerkstelligt hat, er hatte den Mut, einen Krieg Krieg zu nennen. Selbstverständlich hat der Bundestag hier einen Kriegseinsatz beschlossen und dann ist es das Mindeste, das auch zu sagen, und bei der Definition nicht von einem „Aufklärungseinsatz“ in einem „bewaffneten Konflikt“ zu schwadronieren.
Dass dem deutschen Politikbetrieb ein global-außenpolitisches Gespür weitgehend fremd ist und internationale Politik oft nach innen- oder (seltener) bündnispolitischen „Notwendigkeiten“ gemacht wird, ist nichts Neues, doch in diesem Fall einmal mehr Ausgangspunkt einer grandiosen Fehleinschätzung. Ein militärischer Einsatz, ja ein Kriegseinsatz, ohne Ziel, ohne Plan, ohne Linie, ohne Mandat, ohne Transparenz – erinnert alles sehr an Bushs „Krieg gegen den Terror“. Erfolgsaussichten: Gering. Kollateralschäden: Hoch. Eine bittere Entscheidung.
von Simon Schüler
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