Ein Kommentar über rechte Verschwörungstheorien über COVID-19
Die Welt steht Kopf. Rechte Verschwörungstheoretiker*innen und ihre alternativen Wahrheiten haben in unsicheren Zeiten Konjunktur. Ihre „Aufdeckungen“, „Wahrheiten“, Angstverbreitungen öffnen jedoch Tür und Tor für gesellschaftliche Gefahren, die nicht nur in Zeiten einer globalen Pandemie, sondern darüber hinaus wirklich viel aufs Spiel setzt.
Ich sitze, wie die meisten von uns, seit Wochen zu Hause und arbeite im Home-Office. Keine öffentlichen politischen Veranstaltungen, keine Konzerte, keine Restaurantbesuche und keine langen Bahnfahrten. Dafür Zoom Meetings, digitale Diskussionsveranstaltungen und Insta-Live Sessions.
Während ich gerade eine E-Mail schreibe, klingelt mein Handy. Eine WhatsApp Nachricht in der die Schwägerin der Mutter eines Bekannten von Lukas Podolski (What?) Ibuprofen plötzlich als Todesmedikament abstempelt. Die Infos kommen DIREKT aus der Uni Wien (What?) und seien total wahr! „What?“ denke ich mir und schreibe die E-Mail weiter.
In einer Zigarettenpause öffne ich Facebook. Ein Video, welches mir erklärt, dass COVID-19 von der chinesischen Regierung selbst gestreut wurde (What?), um die Weltwirtschaft oder die USA zu schädigen. (What?) Das nächste Video erklärt mir, dass in einem US-amerikanischem Labor COVID-19 entwickelt wurde und es auf einem Markt in Wuhan platziert wurde (What?), um die chinesische Wirtschaft zu schädigen. (WHAT?)
Ich schaue Videos auf YouTube. Plötzlich ein Mann im Anzug hinter einem Schreibtisch, der von der Weltjudenverschwörung redet, die 8 Milliarden Menschen töten will und was die Illuminaten damit zu tun haben weiß ich jetzt auch. (What? Wer denn nun?) „‘Bevölkerungsdezimierung‘ ist jetzt schon mein persönliches Unwort des Jahres“ denke ich mir und schließe YouTube.
Während Virolog*innen auf der ganzen Welt unter riesigem Druck nach einem Impfstoff forschen, gibt es schon längst ein Heilmittel, wie mir auf einer super seriös wirkenden Internetseite offenbart wird. Trump hat damit nichts zu tun, sondern „Wesen aus der unsichtbaren Welt“ (What?). Diese haben uns Zahlen gegeben, die wir einfach aufschreiben müssen, damit wir geschützt sind. Ist auch viel simpler als das Prinzip von Atemschutzmasken gegen ein Virus. Nachdem ich den Tag über insgesamt 537354 Mal mit dem Kopf geschüttelt habe fühlt sich dieser nach einem Tag digitaler Falschinformationen ziemlich schwer an. Einige Gedanken werde ich kaum los.
Eins ist klar: Der schon lang beobachtete „Infokrieg“ dreht durch und die rechte Verschwörungstheorieblase befindet sich derzeit in einer eigenen „Gone Wild“ Edition ihrer selbst. War es jetzt der US-amerikanische Geheimdienst, die chinesische Regierung oder doch das Weltjudentum und die Illuminaten? Während Xavier Naidoo gerade einen globalen Pädophilenring, in dem es aber um eine ganz andere Pädophilie als wir alle denken geht, aufdeckt und von Till Schweiger in Form typischer Täter-Opfer-Verkehrung volle Rückendeckung genießt, bekommen extrem rechte YouTube Videos die nächsten 100k Klicks. Eine globale Pandemie in ihrer Gesamtheit und umfassenden Alltagspräsenz bietet vielfach Anlässe für Verschwörungstheorien. Was sich gerade offenbart ist das breite Angebot radikaler und extrem rechter Weltanschauungen und Ideologien: Antisemitische Weltverschwörung, Illuminaten, Reichsbürger*innen in gewohnter Deutschtümelei, das rassistische Narrativ von Migrant*innen oder von als fremd Gelesenen als Träger*innen von Krankheiten, die dem „Volkskörper“ schaden.
Manche sagen, dass solche Verschwörungstheorien überhaupt nicht ernst zu nehmen sind. „Diese paar Verrückte“ oder „Einfach nicht ernst nehmen“ höre ich oft. Ich bin da anderer Meinung.
Es ist sinnvoll Verschwörungstheorien ein bisschen zu sortieren. Es gibt solche, die offensichtlich gegen physikalische Gesetze und damit im Widerspruch zu Naturgesetzen stehen, wie beispielsweise die Verschwörungen einer flachen Erde. Aber es gibt auch solche, die auf den ersten Blick schwerer erkennbar sind, weil sie in sich schlüssig wirken und weniger offensichtlich gegen als gesellschaftlicher Konsens geltende Fakten verstoßen. Gerade für diese scheinen größere Menschenmassen in Phasen von gesellschaftlicher Verunsicherung wie in Zeiten einer Pandemie empfänglicher. Trotzdem blühen beiderlei Verschwörungstheorien vor allem in der extrem rechten Szene seit mehreren Jahren unglaublich auf. Die Reichsbürger*innen bewaffnen sich, aber auch harmloser wirkende rechte Gruppen wie beispielsweise die Anastasia-Bewegung gewinnen an Zuwachs. Das Gewaltpotential der extremen Rechten wird bis heute nicht ernst genommen, sogar im Angesicht von Mordanschlägen, wie im Fall von Walter Lübcke, und rechtem Terror wie in Hanau oder Halle heruntergespielt. Rassismus, Antisemitismus und rechte Gewalt werden durch Verschwörungstheorien unterfüttert, vermeintlich legitimiert und bekommen dadurch an gesellschaftlichem Zuspruch. Dem gilt es sich entgegenzusetzen.
Extrem Rechte bereiten sich seit vielen Jahren auf den „Tag X“, einen heldenhaften Umsturz des ach so erkrankten falschen Systems vor, um als Retter der gegeißelten deutschen Bevölkerung aufzutreten. Die derzeitige Krise und damit zusammenhängenden Verschwörungstheorien wirken vor diesem Hintergrund wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Menschen, die seit Jahren auf eine Krise warten und überall ständig Anzeichen dafür sehen, fühlen sich nun bestärkt in ihrem Weltbild. Die Wirkungsmacht von Verschwörungstheoretiker*innen, sich untereinander Zuspruch und Bestätigung zu geben, potenziert sich derzeit ins schier unermessliche. Und die Stilisierung als Held*innen in der Not, als Kämpfer für Freiheit des Volkes zeigt sich prompt. Während im Netz Videos geteilt werden, welche COVID-19 als Fake betiteln, werden trotzdem Nachbarschaftshilfen organisiert. Während die demokratische Zivilgesellschaft zum Schutz von Menschenleben Demonstrationen und Großveranstaltungen digitalisiert, treten die mutigen Volksverteidiger*innen als Schützer*innen in der Not auf und schaffen es, dies in ihren sozialen Medien wirksam nach außen zu transportieren.
Dabei folgen rechte Verschwörungstheorien oftmals einem gleichen Muster. Stets gibt es ein klares Feindbild. Etwas, gegen das man sich auflehnen und/oder von dem man sich befreien muss. Seien es Gefahren von außen (bspw. Migrant*innen/“Umvolkung“) oder eine Gefahr von innen (bspw. herrschende und kontrollierende Eliten/“Merkelregime“) – es gibt stets eine klare Definition des „Wir“ und des „Anderen“. Damit wird nicht nur eine Polarisierung erreicht, bei der es eine „gute“ und viele „schlechte“ Seiten gibt, sondern gleichzeitig auch ein Zugehörigkeitsgefühl innerhalb der eigenen „guten“ Gruppe geschaffen. Diesem Prinzip bedient sich auch die AfD. Mit gezieltem politischem Framing und eindeutigen, einfachen Erklärungsmustern lassen sich somit Zugänge von extrem rechten Verschwörungstheoretiker*innen in ihre Partei finden. Unter anderem zeigt sich dies an der ablehnenden Haltung gegenüber der „Systemmedien“. Fake News und alternativen Schwachsinn zu verteilen schürt darüber hinaus den Zweifel an etablierten Medien weiter. Sei es Print oder die Tagesschau – „Lügenpresse“ schallt es in den Ohren und Verschwörungstheorien geben dem Affen Zucker. Hinter diesem Zweifel oder einfach der puren Ablehnung von bspw. öffentlich-rechtlichen Medien stehen aber gesellschaftliche Entwicklungen. Geglaubte Fake News oder Verschwörungstheorien führen zum Wegfallen einer gemeinsamen gesellschaftlichen Grundlage für Diskurse. Eine Demokratie benötigt jedoch eine gemeinsame Basis, auf dessen Grundlage um die überzeugendsten Lösungen gestritten werden kann. Wenn nun „gefühlte Wahrheiten“ oder Verschwörungen über böse Eliten, die die Menschheit geißeln, das sind, was viele hunderttausende Menschen glauben, dann ist eine gesellschaftliche, konstruktive Diskussion über beispielsweise die beste Schutzstrategie in Zeiten einer Pandemie nicht möglich.
Das alles setzt Menschenleben aufs Spiel. Menschen, die nicht an ein Virus glauben oder dahinter eine Verschwörung wittern, werden sich nicht an Schutzmaßnahmen halten oder ihnen ablehnend gegenüberstehen. Damit entstehen Löcher im gesellschaftlichen Schutz, der daraus besteht, dass man sich selbst schützt, in dem man eben alle anderen schützt. Verschwörungstheoretiker*innen, die ihre kruden Fake News teilen, nehmen diesen Umstand in Kauf und verbreiten mit ihren Theorien auch diese Gefahren. Sie machen dies nicht zuletzt, um unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung nachhaltig zu schaden. Jeder Anlass, der weiter Vertrauen in unser Rechtssystem sowie dem Parlamentarismus untergräbt, wird begrüßt. An die Stelle von Vertrauen wird im Gegenzug eine faschistische Weltansicht platziert.
Ein Virus bleibt ein Virus und damit eine Gefahr für fucking Menschenleben. Eine menschliche Politik und Gesellschaft stellen genau dies in den Mittelpunkt. Wir wissen viel darüber, wie Viren funktionieren, wir kennen andere globale Pandemien und wir wissen auch viel darüber, wie man sich schützen kann. Klar – wir wissen noch nicht alles über COVID-19, die speziellen Krankheitsverläufe und natürlich gleicht eine Pandemie nicht der anderen. In Dingen, die wir nicht wissen verbergen sich Unsicherheiten und diese auszuhalten ist auf jeden Fall etwas, was man lernen muss. Es ist unangenehm, es zieht an den Nerven und ist anstrengend. Doch es ist notwendig, denn Zusammenhänge herzustellen, wo einfach keine sind, führt zu nichts.
Ich weiß nicht was morgen oder übermorgen passiert. Ich weiß aber, was ich jetzt gerademachen kann, um andere und mich vor einem tödlichen Virus zu schützen: Zu Hause bleiben, regelmäßig Händewaschen und wenn ich dann doch mal vor die Tür muss eine Maske tragen. Ich bin keine Virologin, aber ich weiß, dass Virolog*innen, Politiker*innen und alle Menschen in verantwortlichen Positionen ihr Möglichstes tun, um Menschenleben zu schützen und zu retten. Wir können dazu unseren Beitrag leisten.
Von Hanna Reichhardt
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