Was bedeutet eigentlich Stillstand? Ein Begriff, der in vielen verschiedenen Themen zum Einsatz kommt und jeweils eine andere Bewertung erfährt, bedeutet er vor allem in Gesellschaft und Politik eins: Das Fehlen von Progressivität – eine Politik die dieser Maxime folgt, will vor allem einen Status Quo erhalten. Etwas, das vor allem konservative Politik ausmacht.
Ist der Erhalt eines Status Quo etwas Schlimmes? Hypothetisch betrachtet sicherlich nicht, denn wenn es keine Probleme gibt, macht es wohl wenig Sinn etwas zu verändern und damit mehr Schaden anzurichten, als Situationen zu verbessern. Das macht diese Sichtweise jedoch nicht mehr nützlich oder realistisch, denn selbst wenn es politischen Stillstand gibt, entwickelt sich die Welt dennoch weiter.
Das lässt sich an vielen Punkten in Deutschland erkennen:
- Viele technologischen Entwicklungen, die das Leben vieler Menschen tagtäglich und maßgeblich beeinflussen, wurden politisch teilweise einfach verschlafen oder unterschätzt. Zum Beispiel die Entwicklung des Internets und der globalen Vernetzung, von Smartphones, sauberer Energie (die wir bis heute nicht stärker vorantreiben würden, wäre Fukushima nicht gewesen und selbst bei der Energiewende gibt es große Risse) und noch viele weitere.
- Gesellschaftliche Probleme, wie Bildung, die größtenteils noch der humboldtschen Denkart folgt; verschiedenste Formen der Diskriminierungen; demografischer Wandel und dessen Folgen etc.
- Probleme in der Arbeitswelt, wie z.b. Das Sinken der Reallöhne, die derzeit unter dem Niveau des Jahrs 2000 liegen, trotz stark positiver Wirtschaftsentwicklung; ein enormes Rentenproblem, was selbst Menschen, die 40 Jahre gearbeitet haben, in die Altersarmut rutschen lassen wird; und auch das Folgen einer marktkapitalistischen Maxime in Politik und Wirtschaft, die weder resistent gegenüber Krisen ist, noch einen Mehrwert für die gesamte Gesellschaft erwirtschaftet
Natürlich gibt es darüber hinaus noch sehr viel mehr Punkte, die man aufführen könnte und die Liste hat keinen Anspruch vollständig zu sein. Was hier nicht falsch verstanden werden soll: Sicherlich gibt es Dinge, die erhalten werden müssen, wie Infrastruktur und Daseinsfürsorge oder die kommunale Selbstverwaltung (und vieles mehr). Aber wie soll eben genau das funktionieren, wenn es Situationen gibt, die dem entgegenwirken? Der deutsche Mittelstand löst sich langsam, aber stetig auf während die Reichtumsverteilung sich weiter nach oben verlagert. Damit wachsen die Probleme der staatlichen Finanzierung, was zu weiteren Folgeprobleme führen wird. Bisher gibt es kaum erkennbare Projekte der Bundesregierung dagegen vorzugehen, denn auch ein Mindestlohn von 8.50€ / Arbeitsstunde wird dem kaum Abhilfe schaffen. Das selbe gilt für die Pläne zur Rente. Was fehlt sind die großen, zukunftsorientierten Projekte, die auch den Willen haben, die Gesellschaft nach vorne zu bringen, weiterzuentwickeln und nicht nur das zu Verwalten, was ihnen gegeben ist. Dabei gibt es viele Dinge, die eine Veränderung nötig hätten: Steuerrecht, das gesamte Sozial- und Gesundheitssystem, Wirtschafspolitik und die Bildungspolitik, um nur die wichtigsten zu nennen. Doch die „große Politik“ traut sich spätestens seit Gerhard Schröders Agenda 2010 keinen großen Wurf mehr, wurde die Agenda von vielen Bürgerinnen und Bürgern als Verrat der Werte der SPD gesehen, was sich in den Wahlergebnissen nachwievor wiederspiegelt. Sicher – wer große Reformen will kann auch große Fehler machen, doch kann das die Begründung sein, politisch still zu stehen? Die Politik ist es doch den Menschen schuldig, zu agieren – und nicht dazu, um die Macht an bestimmte politische Parteien zu binden.
Helmut Schmidt hat mal gesagt: „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.“ Ich sage dazu nur: Wer keine Visionen hat, sollte nicht in die Politik gehen. Ohne Vorstellung für eine bessere Zukunft verkommen Demokratie und ihre Volksvertreter*innen zu einem einzigen Verwaltungsapparat und das ist sicher nicht im Interesse der Bevölkerung. Ein progressiver Staat schon eher.
Von Sebastian Fiedler