Mit der Sitzordnung am Kabinettstisch der Bundesregierung ist das so eine Sache; sie spiegelt, mindestens inoffiziell, nämlich die Bedeutung des jeweiligen Ministeriums wider. Der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sitzt ziemlich weit außen und nach der Auffassung eines großen Teils der Wählerinnen und Wähler gehört er dort wahrscheinlich auch hin. Amtsinhaber Dr. Gerd Müller ist relativ unbekannt und das liegt weniger an ihm persönlich, zeigte er doch einen sehr aktiven Start in seiner neuen Funktion. Auch Vorgänger Dirk Niebel erlangte seine Medienpräsenz eher über fragwürdige Teppichtransporte und Kopfbedeckungen als über sein noch viel fragwürdigeres Verständnis von Entwicklungspolitik.
Niebel hätte dieses Ministerium, bevor es führen durfte, am liebsten abgeschafft und ungefähr genau so auch vier Jahre lang agiert. Den Erfolg ihrer Politik bemaß die Leitung in hohem Maße am Umfang der direkten und indirekten Rückflüsse, etwa aus Krediten oder durch die Auftragsvergabe an deutsche Unternehmen aus Entwicklungshilfeleistungen. Welch ein Zynismus, wenn sich dann die westlichen Geberländer häufig über das an Eigeninteressen orientierte Vorgehen der neuen Geber wie China beschweren!
Doch auch aus einem anderen Blickwinkel wird oftmals verkannt, was Entwicklungspolitik eigentlich ist: Bis heute scheint die Assoziation sehr verfestigt, das reiche Deutschland spende den armen Empfängerländern eine Menge Geld, damit die auch mal irgendetwas hinkriegen. Ob die Bewertung dessen dann positiv ausfällt („schon ok, dass wir so selbstlos den Armen helfen“) oder populistisch-negativ („… als gäbe es für unsere Steuergelder hierzulande keine Verwendung“), ist dabei ziemlich egal, weil schon der Grundgedanke brachialer Unfug ist. Es ist immer wieder erstaunlich, wie viele Menschen ihren geistigen Horizont derart auf eine nationale Perspektive beschränken, als sei Deutschland ein eigener Planet. Das ist allerdings nicht erst seit der Globalisierung falsch.
Dabei geht es in der Entwicklungspolitik um viel mehr. Sie ist in erster Linie Friedenspolitik, weshalb es im Übrigen auch keine unzulässige Einmischung ist, Unterstützung an ein Mindestmaß demokratischer Governance zu knüpfen. Sie ist aber auch Bildungs-, Umwelt-, Sozial-, Gesundheits-, Jugendpolitik usw., annähernd jedes Ressort könnte hier genannt werden, und das jeweils in globaler Reichweite. Damit ist sie im Übrigen auch deutsche bzw. europäische Innenpolitik im besten Sinne – Fragen wie die zugegebenermaßen schwer handhabbare Flüchtlingssituation würden sich kaum stellen in einer Welt, in der Entwicklungspolitik funktionierte.
Dafür zu sorgen, ist ein Auftrag für alle politisch Verantwortlichen, für Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten allerdings im besonderen Maße. Zunächst aus rein praktischen Gründen: Wir können uns hier nicht auf eine CDU verlassen, die schon bei den anstehenden Europawahlen nicht versteht, dass es um Europa geht, sondern die deutsche Kanzlerin plakatiert. Deren Politik ist seit jeher von einer solch lähmenden Kurzfristigkeit geprägt, dass es eine Illusion wäre zu glauben, sie würde die Welt auch nur ein ganz kleines bisschen besser machen. Auch die SPD übt sich allerdings bislang in diesem Politikfeld trotz einer größeren grundsätzlichen Überzeugung zu häufig in Bescheidenheit. Wenn das 1970 (!) proklamierte Ziel, 0,7% des Bruttonationaleinkommens aller Industrieländer in Entwicklungspolitik zu investieren, nach wie vor mangels Bereitstellung der entsprechenden finanziellen Mittel gerade einmal gut zur Hälfte erfüllt wird, ist das ein Armutszeugnis, das allen netten Absichtserklärungen entgegensteht.
Wir proklamieren als SPD und als Jusos aber auch immer wieder die Werte Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität, denen sich sicherlich viele Menschen anschließen können. Dabei ist jede und jeder von uns gut beraten, Politik als globales Handeln zu verstehen. Die Debatte um Freiheit darf nicht bei informationeller Selbstbestimmung im NSA-Skandal enden, sie muss auch darüber geführt werden, was zu tun ist, wenn tausende Kilometer entfernt Menschen wegen Geschlecht, Religion, Hautfarbe oder sexueller Orientierung unterdrückt oder gar ermordet werden. Die Debatte um Gerechtigkeit darf nicht beispielsweise bei der Forderung nach gleicher Bezahlung von Frauen und Männern enden, sie muss auch darüber geführt werden, dass die westliche Welt ihren Wohlstand auf Kosten der benachteiligten Länder erreicht hat und dies nicht mit ein paar Millionen Dollar reparabel ist. Die Debatte um Solidarität darf nicht bei der Auseinandersetzung um ein faires Rentensystem oder die Höhe des Arbeitslosengeldes enden, sie muss auch darüber geführt werden, dass der Hunger auf der Welt mit unserem Lebensstil und fehlgeschlagenen Hilfsmaßnahmen (die gerade verhandelten Wirtschaftspartnerschaftsabkommen werden die nächsten solchen sein) eng zusammenhängt.
Die Welt besser zu machen, das ist unser Job, der von allen, die ihre Verantwortung für andere Menschen nicht an der Haustür oder an irgendeiner Landesgrenze abgeben wollen. Richtig gemacht ist Entwicklungszusammenarbeit ein sehr guter Rahmen dafür. Hier werden die eben genannten Probleme diskutiert – und zwar nicht so abstrakt, wie es in einem solchen Blog möglich ist, sondern konkret – und im Zusammenspiel mit den Akteurinnen und Akteuren vor Ort strukturiert Programme erarbeitet. Natürlich gibt es auch da Verbesserungsbedarf, großen sogar, der aber eben nur in einem breiteren Diskurs erfüllt werden kann. Schon allein deshalb gehört sie in die erste Reihe.
von Simon Schüler