Warum die Familie schuld ist am Wohnungsmangel.
Ich habe vor wenigen Tagen eine Sendung auf Arte gesehen, die mich persönlich sehr faszinierte. Anstoß zur Sendung gaben die Proteste gegen ein geplantes Familiengesetz in Frankreich, welches unter anderem lesbischen Paaren das Recht auf künstliche Befruchtung und Leihmutterschaft in Aussicht stellte und das nun wieder auf Eis gelegt wurde. Unter dem Titel „Eine neues Familie?“ (www.arte.tv/guide/de/sendungen/SUA/square ) beschäftigte sich die Sendung mit dem Streit, der in Frankreich nun um den Familienbegriff entstanden ist und in dem sich nicht nur konservative, sondern auch linke Kräfte nun mit Aussagen gegen die „Homo-Ehe“ profilieren. Die Gäste der Sendung Michael Blattny, Psychotherapeut und Psychoanalytiker, und Marcela Iacub, Juristin; Forscherin am CNRS; Bioethik-Expertin und Autorin, setzen sich kritisch mit den Protesten und dem Begriff der Familie als solchem auseinander.
Marcela Iacub stellt unter anderem die These auf, das Modell Familie sei einer der Gründe für die aktuelle Krise. Ein Beispiel dafür sei der Wohnungsmangel und dass die Menschen denken würden, man könne nicht anders zusammen leben als in einer Familie. Diesen Gedanken fand ich sehr spannend, weil er so für mich neu war. An teuren Mieten sind schließlich die Vermieter*innen schuld, der ominöse Markt oder auch die Politik, die bezahlbaren Wohnraum nicht genügend fördert. Das unsere Lebensweise, unser Bedürfnis nach eigenem Besitz, nach Wohneigentum dabei eine Rolle spielen könnte, habe ich bisher nie bedacht. Wir besitzen ja schließlich auch gern. Mein Haus, mein Garten, mein Auto und nicht zuletzt mein*e Partner*in.
Doch ist die Familie als Form des Zusammenlebens wirklich so alternativlos? Und wenn die Familie schon unverzichtbar für uns ist, muss es dann auch immer das Einfamilienhaus sein?
Viele neue Projekte, die sich mit dieser Thematik auseinander setzen gibt es im Bereich des Wohnens im Alter. Denn obwohl die Familie ein so hohes Gut für uns zu sein scheint, mit mehreren Genrationen wohnen die wenigsten noch zusammen. Alternativen bieten da Mehr-Genrationen-Häuser, in denen oft unabhängig von familiären Verbindungen Menschen in einer Gemeinschaft leben. So bekommen die älteren Bewohner*innen Hilfestellung im Alltag und können sich ein längeres selbstständiges Leben ermöglichen und jüngere Bewohner*innen können nicht nur aus der Lebenserfahrung der Älteren profitieren, sondern beispielsweise auch bei der Kinderbetreuung entlastet werden. Wohnen in einer größeren, vielfältigen Gemeinschaft kann für Menschen jedes Alters eine große Bereicherung sein.
Eine der bekanntesten und zugleich vorurteilsbehaftesten alternativen Lebensformen ist die der Kommune. Sie ist heute keineswegs tot und, entgegen weitverbreiteter Vorurteile, geht es dort meist nicht hauptsächlich um sexuelle Freizügigkeit, sondern um eine alternative Form des Zusammenlebens und gemeinsamen Wirtschaftens. Das Leben in einer Kommune ist außerdem in der Regel sehr viel Ressourcen schonender und damit nachhaltiger als das Leben in einer Kleinfamilie. Anders als in Kleinfamilien, werden in einer Kommune alle Mitbewohner*innen in Entscheidungsprozesse einbezogen. Kinder lernen von klein auf demokratische Prinzipien. Kleinfamiliäre und geschlechtsspezifische Machtstrukturen werden abgebaut.
Es gibt natürlich noch unzählige weitere Formen in denen Menschen in einer Gemeinschaft zusammenleben können.
Und so ist auch die Gleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaften nur ein Schritt auf dem Weg in eine offenere, vielfältigere und gerechtere Gesellschaft. Wir müssen uns beispielsweise auch der Frage stellen, warum immer nur zwei Menschen juristisch miteinander verbunden werden können. Glauben wir wirklich, dass Liebe zwangsläufig nur zwischen zwei Menschen existieren kann? Und warum haben wir überhaupt den Drang uns juristisch aneinander zu ketten? Warum verdient eine kinderlose Ehe steuerliche Entlastungen und eine Wohngemeinschaft nicht?
Manchmal lohnt sich der Blick über den wohlbehüteten, familiären Tellerrand. Und die Frage, was möchte ich im Leben, bietet sehr viel mehr Antwortmöglichkeiten als wir vielleicht oft in Betracht ziehen.
von Lara Kannappel