Jusos Hessen-Nord

Ein Gespräch zwischen zwei Jusos und Alt-Mitglied Heinrich

Zwei Jusos im Gespräch mit Alt-Mitglied Heinrich (83)

 

Viele sehen den Streit zwischen den Interessen von jung und alt als Hauptkonflikt in der Politik. Dass es anders geht, beweisen die Jusos Niklas (29) und Steffen (30) im Gespräch mit Alt-Mitglied Heinrich (83).

Steffen: Heinrich, du bist schon über 50 Jahre in der SPD. Braucht es die SPD noch? Was sollte ihre Hauptaufgabe sein?

Heinrich: Dass es sie braucht, hat die Kampagne von Martin Schulz gezeigt. Das Thema Gerechtigkeit hat Begeisterungsstürme ausgelöst und die SPD in Umfragen auf 32% gebracht. Programmatisch müssen wir neben der Erwerbsarbeit auch andere Formen der Arbeit berücksichtigen, die auch entlohnt werden. Das ist eine uralte Idee der katholischen Arbeiter*innenbewegung. Der Parteitag 2019 hat es vorgemacht und die Sozialdemokratie muss jetzt für die echten Leistungsträger*innen in unserem Land Partei ergreifen: für Handwerker*innen und Erzieher*innen, für Lehrer*innen und Maschinenführer*innen, für die Frauen und Männer, die fahren, putzen, kochen und reparieren, die erfinden, entwickeln und bauen. Und für die Menschen, die ihr Leben lang hart gearbeitet und ein Recht auf Anerkennung und ein würdevolles Leben im Alter haben.

Niklas: Das stimmt, die SPD muss wieder in die Lebensrealität der Menschen eintauchen. Sie muss genau analysieren, was bestimmte Bevölkerungsgruppen als gerecht empfinden und Anerkennung bedeutet. Dann kann man gute Politik machen und für die tätig werden, die es brauchen.

 

Steffen: Wir sind durch unsere Besuche im Stadtteil mit gutem Beispiel vorangegangen (Anm.d.Red: Der Ortsverein hat sämtliche Geschäfte, Friseure, Kleinunternehmer*innen im Viertel besucht und sie zur aktuellen Corona-Lage befragt. Anregungen und Kritik konnten direkt an die Fraktion / Ortsbeirat weitergeleitet werden). Denn die Einzelhändler vor Ort haben das Problem, dass sie in Konkurrenz zu z.B. Amazon stehen und dieses multinationale Unternehmen kaum Steuern zahlt. Amazon schafft sich hier Wettbewerbsvorteile, da sich der Konzern die Gewinne so gering rechnet, dass es am Ende kaum etwas zahlen muss. Die Firmen tricksen, aber sie tun dies in der Regel nicht illegal. Die Regierungen bieten ihnen Schlupflöcher. Das ist ungerecht.

 

Heinrich: Für Respekt sorgt man zum Beispiel, indem man ehrenamtliche und Familienarbeit finanziell entlohnt. Das halte ich für den Wahlschlager schlechthin und würde unterfüttern, dass es uns mit der Gerechtigkeit ernst ist.

Steffen: Pro Jahr werden 65 Mrd. Stunden Erwerbsarbeit und 96 Mrd. Arbeitsstunden im Ehrenamt und der Familie geleistet. Könnte da nicht das Bedingungslose Grundeinkommen eine Lösung sein?

 

Niklas: Naja, das Problem ist die statische Höhe des Grundeinkommens. 950 Euro zum Beispiel helfen dir in Kassel schon, aber in München überhaupt nicht. Da bleibt die Frage offen, wie variabel so eine Größe ist. Wie passt sie sich an Inflation oder Preissteigerungen an?

 

Steffen: Vielleicht müsste die SPD ein anderes Konzept entwickeln. Eine Art Grundsicherung, zu der man BAFöG und Arbeitslosengeld hinzufügt. Ein Fangnetz für alle quasi.

Niklas: Das würde auch zum Bürokratieabbau beitragen. Ich kenne einige Leute, die in der letzten Zeit ALG I oder II anmelden mussten. Die sagen: „Es ist so deprimierend, wenn man dahingeht. Niemand nimmt sich wirklich Zeit. Man muss sich durch bürokratische Irrgärten wühlen.” Das trägt nicht dazu bei, dass Menschen motiviert auf Arbeitssuche gehen. Das ist ja eigentlich der Sinn des Ganzen: Menschen befähigen, sich Arbeit zu suchen und ihr Leben in die Hand zu nehmen.

Steffen: Das ist in der Partei schon angekommen. Mit dem Beschluss des Bürgergeldes auf dem Parteitag Dezember 2019 soll das Arbeitslosengeld den Menschen annehmen, qualifizieren und befähigen.

Heinrich: Ja, und wenn man dazu noch die Entgeltung von Ehrenamts- und Familienarbeit hinzufügt, hat die SPD den Durchbruch geschafft. Der Sohn, der seine Mutter pflegt, erledigt Profiarbeit, muss aber seinen Lebensstandard runterschrauben, weil ihm Einkommen fehlt.

Steffen: Was kann die SPD denn konkret für den Kasseler Westen erreichen und welche Visionen entfesseln?

Niklas: Sie könnte sich für die Wiederverwendung von mehr Ressourcen einsetzen! Damit beginnt es in den Kommunen, in den Städten und Vierteln. Gerade hier in Kassel, in einer klassischen Auto- und Industriestadt, ist jeder gepflanzte Baum, jede Wiese ein Beitrag zum Klima. Und eine Wohlfühloase für die Bürger.

Steffen: Die Renaturierung der Drusel wäre eine Vision! Unter der Goetheanlage verläuft ein Fluss, den man wieder zum Vorschein holen könnte. Das wäre ein langjähriges Projekt, aber wir können es zusammen mit den Anwohnern anstoßen. Besser als in der Vergangenheit müssen sie in den Prozess eingebunden werden.

 

Niklas: Rainproof-Haltestellen sind auch so eine Idee. Eine mit bienenfreundliche Pflanzen bewachsene Haltestelle, die unter der Straße Regenwasser sammelt, sich damit selbst bewässert und somit Feinstaub filtert sowie ein einen Kühlungseffekt besitzt. Sehr innovativ,

sehr nachhaltig. Das könnte man am Kasseler Bebelplatz als Pilotprojekt machen.

Heinrich: Das erinnert mich an den Begriff des Qualitativen Wachstums. Lebensqualität soll wachsen. Merkmale des guten Lebens unter dem Aspekt der Ressourcenschonung. Präventive Medizin in der Gesundheit, Respekt, Sicherheit, Harmonie mit der Natur. Diese Vorstellung spielt mittlerweile weltweit eine große Rolle.

Zu den Personen:

 

Heinrich Triebstein ist 1966 als Referendar SPD-Mitglied geworden. Als Lehrer a. D. hat er stets Lehrsames beizutragen. Angetrieben wird er davon, dass sich die Shoa nicht wiederholt.

Steffen Hunold ist der Ortsvereins Vorsitzende im Ortsverein Kassel – Vorderer Westen und bei den Jusos Stadt Kassel aktiv.

Niklas Simon ist der Kassierer des Ortsvereins.