Jusos Hessen-Nord

Impfkampagne für Kinder – ‚Young Carer’ priorisieren!

Die Corona-Pandemie hat uns einmal mehr die Wichtigkeit der Krankenhäuser und des gesamten Pflegesektors verdeutlicht. Die Pflege von Erkrankten finde jedoch nicht ausschließlich in Institutionen statt. Rund drei Viertel aller Pflegebedürftigen werden in Deutschland von ihren Angehörigen zu Hause gepflegt und betreut . Es gab in letzter Zeit vermehrt mediale (1) Berichterstattung über die Situation von Erwachsenen, die bei sich zu Hause ihre Angehörigen pflegen. Das Pflegen von Angehörigen kann ohne eine globale Pandemie bereits eine Herausforderung sein, mit einer Pandemie und den damit einher gehenden Schutzmaßnahmen hat sich diese jedoch um ein Vielfaches gesteigert. Lange haben sich die Betroffenen von der Politik übersehen gefühlt. Nun verspricht die Impfkampagne eine Verbesserung der Situation. Allerdings wird dabei wieder eine Gruppe übersehen: die sog. „Young Carer“ oder zu Deutsch „Kinder und Jugendliche mit Pflegeverantwortung“. (2)

Young Carer sind Kinder und Jugendliche, die sich um ihre pflegebedürftigen Angehörigen kümmern und sie tagtäglich pflegen. Nach Schätzungen des Bundesministeriums für Gesundheit müssen rund 480.000 Kinder und Jugendliche bundesweit Angehörige pflegen, zumeist Geschwister oder Eltern.

Die Pflege der Angehörigen reicht von Hilfen im Haushalt, über die (3) Medikamenteneinnahme und Nahrungsmittelaufnahme bis hin zur Körperpflege. Die Doppelbelastung von schulischer Ausbildung auf der einen Seite und Pflege der Eltern auf der anderen Seite, führen zu großen psychischen Belastungen der Kinder. Gerade während der aktuellen Situation fehlt zudem die räumliche Trennung von Schule und Zuhause. Young Carer tragen für sich ganz selbstverständlich die ihnen aufgebürdete Verantwortung ihre Angehörigen unterstützen zu müssen. Aus dem Gefühl heraus für die erkrankten Eltern funktionieren zu müssen, blenden Kinder ihre eigenen Bedürfnisse häufig aus. So erzählen viele inzwischen erwachsenen Young Carer, dass sie keine Kindheit hatten und direkt die Rolle eines Erwachsenen übernehmen mussten. Mal eben kurz mit Freund*innen ins Kino gehen oder die Klasse mit ins Landschulheim oder auf Studienfahrten zu begleiten, ist nicht möglich, wenn die Familie zuhause auf die Hilfe und Pflege durch die Kinder und Jugendlichen angewiesen ist.

Erfahrungswerte haben gezeigt, dass Young Carers für bestimmte körperliche und psychische Beschwerden anfällig sind: Schlafstörungen, Stress und ständige Sorge. Darüber hinaus leiden sie unter Rückenproblemen durch ständig schweres Heben, Trauer, mangelnde Möglichkeiten an Sport- oder Freizeitaktivitäten teilzunehmen sowie große Ängste und Scham über stigmatisierende Themen wie psychische Erkrankungen oder den Einsatz von Substanzmittelgebrauch, wie es bei einigen Erkrankungen von Nöten ist, zu sprechen. Eine dringend notwendige Nachsteuerung bedarf es hinsichtlich der Unterstützung durch Haushaltshilfen, aktuell gilt, dass Familien nur bis zum 12. Lebensjahr des Kindes Hilfe im Haushalt erhalten, dies muss mindestens bis zur Vollendung des Ausbildungszeit verlängert werden. Zusätzlich entstehen erhebliche schulische Nachteile für die Kinder. Darunter fallen das nicht besuchen der Schule oder regelmäßiges Zuspätkommen aufgrund der Pflegesituation zu Hause, wenig bis keine Zeit zum Lernen sowie die Schwierigkeit der Teilnahme der Eltern an Elternabenden und schulischen Veranstaltungen.

Es bedarf also einer Sensibilisierung der Lehrkräfte und eine Aufnahme der Thematik in den Bildungsplan. Zudem leidet das soziale Leben der betroffenen Kinder und Jugendlichen ganz erheblich. Dies führt dazu, dass Young Carer ihre schulische Laufbahn eventuell nicht weiter fortsetzen und so aufgrund der seltenen oder schlechten Teilnahme am schulischen Geschehen oder fehlender familiärer Unterstützung, die schulische Ausbildung vorzeitig beenden. Problematisch ist auch, dass diese Kinder und Jugendliche häufig gar nicht als “Problemfälle“ auffallen. Durch ihre angepasste Art gelten sie häufig sogar als angenehm für die Lehrer*innen und Erzieher*innen, die somit aber deren Probleme gar nicht wahrnehmen. Gerade während des Fernunterrichts zu Hause werden die Kinder und ihre Bedürfnisse übersehen. Fiel es im Präsenzunterricht noch auf, wenn Young Carer nicht am Unterricht teilnehmen konnten, so ist dies Online deutlich schwerer nachzuvollziehen. Aufgrund der großen Ansteckungsgefahr war es für viele Young Carer nun mehr über ein Jahr nicht möglich, an einem ’normalen’ Unterricht teil zu nehmen. Somit hat sich neben der schulischen Situation auch die soziale Situation der Kinder und Jugendlichen verschlechtert.

Es ist zu einer zunehmenden sozialen Isolation der Kinder gekommen, die nicht tragbar ist. Wenn wir nun also über die Impfkampagne für Kinder und Jugendliche sprechen, so müssen wir neben der Priorisierung für Kinder mit chronischen Erkranungen auch die Priorisierung von Young Carer fordern, zum Schutz ihrer Gesundheit und ihrer Angehörigen.

 

Ann-Kathrin Götz für den UB Marburg-Biedenkopf

 

 

(1)Ärzteblatt (2019): Pflege findet weiterhin vor allem durch Angehörige statt. In: https:// 1 www.aerzteblatt.de/nachrichten/105702/Pflege-findet-weiterhin-vor-allem-durch-Angehoerige[1]statt. [Letzter Zugriff: 11.05.2021]

(2) Helping Hands (2021): Was sind Young Carers? In: https://young-helping-hands.de. [Letzter 2 Zugriff: 11.05.2021].

(3) Bundesministerium für Gesundheit (2018): Abschlussbericht zu Projekt ‚Die Situation von 3 Kindern und Jugendlichen als pflegende Angehörige‘. In: https:// www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Pflege/Berichte/ Abschlussbericht_KinderundJugendlichepflegAngeh.pdf. [Letzter Zugriff: 11.05.2021].

Quellen:

Ann-Kathrin Götz/ Philipp Gräfe (2020): Antrag ‚Hilfe für helfende Kinder – Support Young Carer!‘

Ärzteblatt (2019): Pflege findet weiterhin vor allem durch Angehörige statt. In: https:// www.aerzteblatt.de/nachrichten/105702/Pflege-findet-weiterhin-vor-allem-durch-Angehoerige-statt. [Letzter Zugriff: 11.05.2021].

Bundesministerium für Gesundheit (2018): Abschlussbericht zu Projekt ‚Die Situation von Kindern und Jugendlichen als pflegende Angehörige‘. In: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/ fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Pflege/Berichte/Abschlussbericht_KinderundJugendlichepflegAngeh.pdf. [Letzter Zugriff: 11.05.2021].

Helping Hands (2021): Was sind Young Carers? In: https://young-helping-hands.de. [Letzter Zugriff: 11.05.2021]. Young-carer.de (2021): Young Carers Geschichten & Erfahrungsberichte. In: http://young-carers.de/ youngcarers-geschichten-erfahrungsberichte-junge-pflegende. [Letzter Zugriff: 11.05.2021]