Jusos Hessen-Nord

Ein Kommentar über sexuelle Belästigung im Alltag

Die Normalisierung von „Catcalling“ und „Street Harassment“

 

Es war ein normaler Abend und ich war mit meinen Freundinnen abends auf der Straße unterwegs, um mir ein Eis zu kaufen. Als wir an der Ampel warteten, standen plötzlich zwei Männer hinter uns, die sich, als wäre es das normalste dieser Welt, darüber unterhielten, wer von uns doch „den geileren Arsch“ hätte.

Ich war in dem Moment sehr verunsichert und wusste nicht wie ich reagieren sollte, auch meine Freundinnen fühlten sich unwohl.

Später im Gespräch mit weiteren Freunden, wurde über den Vorfall gelacht und als gescheiterter Flirtversuch aufgegriffen. Doch Jahre später ist mir erst bewusst geworden, wie eklig und unangemessen diese Situation war, vor allem wenn man in Betracht zieht, dass wir alle minderjährig waren.

Eine ähnliche Situation wie Diese, wird wahrscheinlich schon mal jede Frau* und auch einige Männer- in ihrem Leben oder Umfeld erlebt haben. Es fängt bei anhupen oder -pfeifen an und geht bei Hinterherrufen, anmachen und übergriffig werden weiter. Das Thema betrifft uns alle, denn auch wenn jede*r solche Sprüche oder die Berührungen anders wahrnimmt, zeigt es wie allgegenwärtig es doch ist.

Diese Situationen werden auch Catcalls genannt, es sind verbale sexuelle Belästigungen im öffentlichen Raum, dem besonders Frauen* immer wieder ausgesetzt sind.1 Dabei sind es oft übergriffige, sexuell aufgeladene Kommentare und die Reduzierung auf das Aussehen oder den Körper der Betroffenen.

Ich wurde vor allem durch ein schockierendes Video auf YouTube auf das Thema aufmerksam, in dem eine junge Frau 10 Stunden lang durch New York City lief und sich mit einer versteckten Kamera dabei filmt. Sie erhielt 108 Catcalls.2

Auch in den sozialen Medien, wie z.B. Instagram stößt man auf das Thema, denn inzwischen gibt es in vielen Städten Catcall Gruppen, die Erfahrungsberichte teilen. Sie schaffen innerhalb ihrer Stadt Bewusstsein für diese Übergriffe, indem sie den Catcall an dem Ort, an dem er stattgefunden hat, mit Kreide auf den Boden schreiben. Damit wird die Problematik in die Öffentlichkeit getragen und mehr Menschen werden darauf aufmerksam gemacht.

Auch in Nordhessen gibt es zum Beispiel den Instagram Account „Catcalls of Kassel“. Bei ihren Posts ist es immer wieder erschreckend zu lesen, was für Erfahrungen vor allem Frauen* tagtäglich machen müssen.3

Immer wieder höre ich, wenn ich das Thema Catcalling anspreche, dass es doch möglicherweise nur als Kompliment gemeint war. Doch Catcalls fallen in unangebrachten Momenten und vermitteln dem/der Empfänger*in nichts Gutes, sondern etwas Herabwertendes. Der/die Catcaller*in vermittelt in dem Moment meist seine/ihre Dominanz. Um ein Beispiel von den Catcalls of Kassel zu nennen: „Wenn du 10 Kilogramm weniger wiegen würdest, wärst du fast sexy“ oder „besoffene Schlampe“. Also klares nein, das ist kein Kompliment.

Eine bundesdeutsche Repräsentativstudie zeigt, dass 60% aller Frauen* in Deutschland schon mal sexuelle Übergriffe erlebt haben.4 Davon ist ein Großteil „Street Harassment“ was auf Deutsch so viel wie Belästigung auf der Straße bedeutet. Viele dieser sexuellen Übergriffe, vor allem die verbalen, sind so alltäglich, dass sie von vielen Menschen als „normal“ gesehen werden, denn es fehlt immer noch ein Problembewusstsein für dieses Thema.

Entscheidend sollte jedoch sein, dass die persönlichen Grenzen von Frauen* respektiert werden, denn Belästigung ist es dann, wenn der/die Betroffene sich belästigt fühlt.

Catcalls können bei den Belästigten noch lange Folge tragen. Dies kann sich in Form von Scham- oder Schuldgefühlen, Selbstzweifel über die eigene Reaktion oder Empörung und Wut äußern. Oft resultiert es vor allem aber in Unsicherheit und Angst. Nachts wird mit dem Haustürschlüssel zwischen den Fingern nach Hause gelaufen, eine Freundin wird beim Warten an der Haltestelle angerufen oder es werden neue, besser beleuchtete Wege aufgesucht. All dies und viel mehr ist Realität im Alltag von Frauen*.

Doch was kann und sollte man bei Catcalls tun? Ob mit Konfrontation oder ignorieren umgegangen wird ist von der Situation und den Betroffenen abhängig.

Ich denke es ist jedoch wichtig zu signalisieren, dass die Situation unangebracht war und vor allem als Außenstehender solidarisch mit den Betroffenen zu sein, auf sie zuzugehen und ihnen Hilfe anzubieten.

Danach hilft es eigene Erfahrungen zu teilen, sich Unterstützung zu suchen und sich zum Beispiel mit anderen Frauen* zu vernetzen. Damit es jedoch langfristig zu Veränderungen kommt, muss vor allem ein Problembewusstsein bis hin zur Ächtung von sexueller Belästigung geschehen. Dies kann durch Aufklärungsarbeit, Kampagnen und Hilfetelefone vorangetrieben werden.

Zudem gibt es verschiedene Petitionen und Jurist*innen die sich mit der Problematik beschäftigen und Catcalls als Straftaten einstufen wollen, wie es zum Beispiel in Frankreich der Fall ist. Damit würde ein klares Zeichen gegen verbale sexuelle Belästigung gesetzt werden.

 

Quellen:

1: https://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/catcalling-petition-fordert-verbale-sexuelle-belaestigung-unter-strafe-zu-stellen-a-862bebe2-b22f-4a3b-9996-8c335dd23a76

2: https://www.washingtonpost.com/blogs/she-the-people/wp/2014/10/29/the-story-behind-that-10-hours-of-walking-in-nyc-viral-street-harassment-video/

3: https://www.instagram.com/catcallsofkassel/?hl=de

4: https://www.frauen-gegen-gewalt.de/de/was-ist-das-208.html